Pommesbude nach Wahl  
 
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Tel.: 02921/________

Die Verkäuferin legt das große Messer, mit dem Sie gerade noch ein Stück Kalbsleber vom restlichen, waberndern Teil des Organs abgetrennt hatte, beiseite. Sie streift ihre blutigen Finger an der weißblau-karierten Schürze ab und hinterlässt dabei ein skurriles Farbspiel auf dem Kittel und ihr wuchtiger, von unbegreiflicher Oberweite gepeinigter Körper bewegt sich träge in meine Richtung. Kleine, trüben Augen, die sich bisher hinter wulstigen Lidern versteckt hatten, quellen ein wenig hervor und schauen mich stoisch an. Ihr Mund öffnet sich mit einer fast mechanischen Bewegung und ein demotiviertes, donnerndes ja fast geschrienes "Sobittschön, wat kris du?" fällt heraus.

Ihre laute, durchdringende Stimme trifft erbarmungslos auf mein unbedarftes Trommelfell und lässt mich zusammenzucken. "Äh, ’ne doppelte Portion Pommes" äußere ich meinen Wunsch. " Pommes was drauf ?" will sie wissen. "Äh ja, Majo!?" "Hier essen odda mitnehm?". "Hier essen".

Zu Ihrer Kollegin am brodelnden Fettgeysir gewandt, gibt sie meine Bitte weiter "Rutt, schmeißma ’ne Portion Pommes ins Fett!" Dabei schlabbern ihre überproportionalen, bleichen Wangen auf und ab wie die Lefzen eines kläffenden Boxers. Während "Rutt" tut, wie ihr geheißen , greift sich das massige Wesen eine Serviette von der Theke und füllt diese unter unappetitlichen Schnäuzen mit dem Inhalt ihrer Nase.

"So, noch’n Wunsch, der feine Herr?" Feiner Herr!? Ich schaue mich um! Klar, ich bin der Einzige, der keinen Plastikjogginganzug trägt und im Gegensatz zu den übrigen Besuchern noch eine ausreichende Menge Zähne in natürlichen Farben sein Eigen nennt. "Nö, danke, is’ schon OK!"

Während ich auf die Ausführung meiner Bestellung warte, bietet sich mir die Gelegenheit, das Etablissement einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Meine Blicke bleiben abrupt an den feilgebotenen Viktualien in der Glastheke hängen. Kartoffel- und Nudelsalat hatten bereits eine knusprige, goldgelbe Crunchycrisp-Kruste gebildet, die Frikadellen locken meine Gallensäfte mit ihrer köstlich tiefschwarzen Farbe aus der Reserve und die halben Hähnchen wirken in Form und Farbe wie in Spiritus eingelegte Embryomissbildungen.

Überhaupt erinnern Gäste, Bedienung und Speisen doch eher an das Kurositätenkabinett eines Wanderzirkusses um die Jahrhundertwende und ich erwarte jeden Moment den an Krücken gehenden, taubstummen, cholerakranken Asthmatiker, der nach dem Verzehr der Pommes seine Gehhilfen wegwirft und jubelnd davonläuft.

"So, Pommes Majo sin fettich!" Mmmh, das sieht ja köstlich aus!

"So lasset dich gut schmecken, Meister!" "Vielen Dank auch!" Die in altem, heißem Fett gesiedeten Erdäpfelstreifen hängen kraftlos und ohne Mumm von der Plastikgabel, sehen aus wie gekocht und schmecken wie schon mal gegessen. So bissfest wie eine faule Kiwi, sieht man mal von dem noch kalten, festen Inneren der Fritte ab, wälzt sich der Kartoffelbrei schwerfällig die Speiseröhre hinab.

Während ich mich in ungeduldiger Vorfreude zu den obligatorischen dunkelbraunen, steinharten Krüppelpommes am Pappschalenboden vorarbeite, unterhält mich eine mittlerweile doch recht angeheiterte Herde Nichtsesshafter mit einem offenbar eigens einstudierten Berberballett. Einer der Herren hat ganz im Gedenken an Fred Astaire den Zylinder mit der Wollmütze und den Stock mit der Warsteiner "Kanne" getauscht und setzte nun mit einem taumelnden Solo zu dem aus dem Radio trällernden "Einmal um die ganze Welt" neue Maßstäbe auf den Fliesen, die die Welt bedeuten.

Der letzte Bissen ist geschluckt und ich zahle. "Und Tausend zurück" witzelt man und schickt mich mit einem herzlichen "Gut gehn!" auf den Weg.

Die unerklärlichen Ketchupflecken auf meinem Hemd, der Gestank in meinen Klamotten und dieser Geschmack, der auch nach drei Tagen beim Aufstoßen noch unangenehme Erinnerungen wachruft, machen so einen Imbissbesuch zu einem wahren Langzeiterlebnis. Und das alles für nur 2,20 Euro!

Doch machen wir uns nichts vor! Natürlich besteht zwischen einer Pommes Bude und einer Autowerkstatt kein großer Unterschied - schmierig, mieser Service und Pommes, die schmecken, als kämen sie gerade aus dem Ölabscheider - aber es gibt nun mal nichts verführerischeres am Samstag Abend, als den vielzitierten "Mantateller" (Groschengourmets wissen, dass das kein koreanisches Fischgericht, sondern ’ne Currywurst mit Pommes Majo ist) und schließlich sind die Damen vom Grill im Zeitalter von Pizza Hut und McDonalds einzigartige Fritten-Fossile, die man nicht missen möchte.

Mahlzeit!

Atmosphäre:  Mittagspause in der Pathologie
Gäste: Manager, Malocher, Mittellose, Gesundheitsbehörde
Musik: Verdauungsfördernder Vierviertelvandalismus aus dem Hause WDR 4
Einrichtung: Irgendwo zwischen Fischfabrikkantine und Westfalia-Ausbau
Toilette: Gott, was erwartet Ihr?!
Preise:  Schon mancher zahlte mit seinem Leben
Bewertung:  ______
 
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